Die junge Stadt erlitt
jedoch durch diesen Wechsel ihres Oberherrn offenbar keinen schädigenden
verlust, sie scheint im Gegentheil der Einverleibung in ein größeres
Staatswesen rascheren Aufschwung verdankt zu haben. Ihre Sicherheit ward noch
durch eine Umgürtung mit starken Mauern, durch Anlagen von Thürmen
und Vorwerken auf den Höhen im Westen und Osten vermehrt, so daß sie
vor der Erfindung des Schießpulvers als unangreifbar zu gelten vermochte.
Eine wohlverwahrte feste Brücke führte nah vom Mittelpunkt der Stadt
aus ostwärts über den Inn, Rathhaus und Kirchen wurden erbaut, die
Einwohnerzahl vergrößerte sich schnell. Gunst der Landesherren
verlieh Wasserburg besondere Privilegien, deren hauptsächlichstes das Salz
betraf und reichen Wohlstand der Bürger begründete. Schon die
Römer hatten die reichen Salzquellen am Alpenrand bei Hall deshalb
später Reichenhall benannt ausgebeutet und nachher frühzeitig
die neuen bajuwarischen Dynastengeschelchter sich derselben bemächtigt.
Eine Salzstraße führte von dort, zur Verschickung des
unentbehrlichen, werthvollsten Gewürzes, in's Innere Deutschlands,
nordwestwärts über den Inn und die Isar, kreuzte die letztere bei dem
Orte Föhring, wo der Bischof von Freising einen Salzzoll erhob, dadurch
Heinrich den Löwen reizte, Föhring von Grund aus zu zerstören,
auf seinem Gebiet eine Stunde weit oberhalb eine Salzbrücke anzulegen, und
so Anlaß zur Gründung der Stadt München gab. Ueber den Inn aber
führte die Salzstraße auf der Brücke von Wasserburg, und die
bayrischen Herzöge verliehen diesem die Berechtigung, daß alles Salz
nur von einer Wasserburger Salzsender-Innung hierher gebracht und
niedergelagert werden dürfe, um in der Stadt von den Münchener
Salzhändler angekauft und weiter geschafft zu werden. Das ließ zu
jeder Jahreszeit viel an Menschen und Geld in Wasserburg zusammenfließen,
dessen Hauptstraße, die Salzsenderzeile, fast unausgesetzt
lebhaftester Verkehr erfüllte. Hinzu kam rege Handelsschifffahrt stromauf
und -ab au dem Inn; eigenes Stadtrecht und Stadtgericht mit dem Blutbann
schlossen eine weitreichende Selbständigkeit ein, und stolz sah das uralte
städtische Wappen, eine ausschreitender rother Löwe mit goldener
Krone und dreifach gespaltenem Schweif in weißem Schildfeld, vom
Brückenthor auf die Ankömmlinge aus dem Chiemgau
herab. Im Uebrigen theilte im Gang der
Jahrhunderte Wasserburg allgemeine städtische Geschicke, wie seine
Bewohner allgemeine Menschenloose. Oefter verheerten große
Feuersbrünste die Stadt, der im Frühling hochgeschwollene,
wüthende einbrechende Inn riß ab und zu Häuser und ganze
Straßen mit sich fort, Kriegsnöthe und langwierige belagerungen
erzeugten im Innern Hungersnoth und Seuchen. Doch so viel an Einzelleben dabei
vor der Zeit zu Grunde ging, das gesammtwesen überdauerte die bösen
Tage und Jahre der Drängniß; einem sturmgerüttelten starken
Baume gleich, schlug es seine Wurzeln nur fester in den Boden. Allzeit war die
Stadt dem Landesherrn und zumeist auch der Kirche treu ergeben, nur im Beginn
der Reformation drang die neue Lehre Martin Luther's da und dort auch in die
Bevölkerung Wasserburgs ein, führte Zwiespalt und Unruehn mit sich,
die vereinzelt noch bis über den Ausgang des 16. Jahrhunderts
fortdauerten. Doch die jederzeit römisch-eifrigen bayrischen Herzöge
griffen stets mit äußerster Strenge ein, um die katholische
Gläubigkeit in der Stadt zu bewahren. Mehrere Geistliche, die in den
Verdacht der Abtrünnigkeit gerathen, wurden feierlich der priesterlichen
Würde und Gewandung entkleidet und in weißen Leinenkitteln als
Ketzer dem weltlichen Geircht zu peinlicher Leibes- und Lebensstrafe
überantwortet; andere entzigen sich dem Scheiterhaufen, galgen, Rad und
Schwert durch rechtzeitige Flucht in protestantisch gewordene Lande. Allein
mannigfache Glaubensverfolgung von Pfarrern, Magistern und Bürgern dauerte
bis zum Beginn des 17.Jahrhunderts an, zu welcher Zeit die Brüder von der
gesellschaft Jesu nach Wasserburg, wie überhaupt in die bayrischen lande
berufen wurden, um mit erprobten Löschmitteln jeden ketzerischen
Funkenrest zum Nimmer-Wiederaufglimmen auszutreten. Im Großen und Ganzen
aber hatte die lutherische religiöse Brandstiftung den Seelen Wasserburgs
nicht mehr an Schaden zugefügt, als eine Feuersbrunst um die Mitte des 15.
Jahrhunderts einigen Häusern der Stadt. Urheberin derselben war eine junge
Frauensperson gewesen, wegen ihrer Uebelthat nach Fug und Recht an der Leiter
ausgerenkt, mit glühenden Zangen gezwickt, öffentlich gestäupt
und dann verbrannt worden. Und mit dem Anfang des 17. Jahrhunderts war jeder
Einwohner Wasserburgs durch gründliche Belehrung von Seiten seiner neuen
Seelsorger aus dem Orden Ignaz von Loyola's zu der heilsamen Erkenntniß
gelangt, daß jene wohlverdiente Strafe der Brandstifterin nur eine
unerlaubt und ungottgefällig gelinde für solche Verderbtheit sein
würde, deren Ruchlosigkeit sich vermäße, einen Buchstabenlaut
im Munde der berufenen Verkündiger der päpstliche Glaubensbotschaft
anzuzweifeln. * * * * * Heute
ist Wasserburg in das Eisenbahnnetz unserer tage eingegittert worden, oder
wenigstens führt ein Schienenstrang in einer Entfernung von drei
Viertelstunden daran vorüber. Anders als früher liegt die Stadt
dadurch mit der Welt umher verbunden, doch nicht zu ihrem Vortheil, denn das
neue rasche Verkehrsmittel hat Handel und Wandel in ihr nicht erhöht,
sondern sie um vieles stiller und verlassener gemacht. Der Zug braust vorbei,
ohne daß jemand seiner Insassen etwas von ihr gewahr nimmt;
höchstens steigt ien halbes Dutzend von Leuten an dem einsamen bahnhof aus
und wandert ihr, der alten Salzstraße folgend, zu. Niemand aber
läuft auf ihr mehr Gefahr, unter Pferde und Räder, oder in zank und
Ungelegenheit mit peitschenknallenden, schimpfenden, trotzigen Fahrleuten zu
gerathen. Das Salz nimmt jetzt andere, schnellere Wege, und alle übrigen
Handelswaaren thun das Gleiche. So ist die Straße verödet, wie der
Inn, auf dem kaum dann und wann noch ein Marktboot zu einem Nachbarort
entlangzieht; nur Holzflöße treiben noch von den Bergen her, der
Donau zu, vorüber. Für den bedarf Anderer hat Wasserburg keine
Bedeutung, keine Durchgangs- und Lagerstätten mehr, sondern ist ein auf
sich selbst beschränktes Stückchen Welt mit einer heutigen
Bevölkerung von etwa viertehalb tausend Köpfen, während es zu
seiner Blüthezeit wohl das Drei- und Vierfache gezählt, für
Verteidigung und Angriff über ein halbes tausend wherhafter Männer
in's Feld stellte. der Segen der großen Erfindungen unserer großen
Zeit hat mancher kleineren, einst lebensvoll kräftigen Ortschaft ein recht
fragwürdiges Janusgesicht zugedreht.
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