Nathaniel
Hawthorne: „The Birthmark” Aus: The Hawthorne Treasury: Complete Novels and Selected Tales, S. 283-297 – ![]() ![]() |
Die
Kurzgeschichte „The Birthmark” erschien im März 1843 im
Bostoner Magazin The Pioneer
und
wurde 1846 in die Sammlung Mosses
from an Old Manse
aufgenommen. Sie gehört zu den bekanntesten Werken des
US-amerikanischen Erzählers Nathaniel Hawthorne
(1804 – 1864). |
Entgegen der ursprünglichen
Absicht, die Kurzgeschichte „The Birthmark” schnell abzuhandeln, zeigte
sich, dass es viele Ideen anspricht und eingehendere Beschäftigung
verdient. Hier das Inhaltsverzeichnis dieser Besprechung zur Übersicht und zum schnellen Ansteuern der Abschnitte:
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Gegen Ende des
18. Jahrhunderts suspendiert der
Wissenschaftler Aylmer seine Forschungen und heiratet Georgiana. Erst
dann
wird er gewahr,
dass ein Muttermal auf der linken Wange ihr ansonsten makelloses
Ausssehen
entwertet. Aylmer stuft seine Fähigkeiten hoch ein
und fühlt sich befähigt das Mal zu entfernen. Georgiana hat ihr Mal
bislang nicht als Makel empfunden (Aylmer offensichtlich auch nicht,
denn er hat sie geheiratet; genau das spricht Georgiana ihm gegenüber
auch aus) willigt aber ein, um ihrem Gatten zu gefallen. Aylmer bringt sie in sein Laboratorium, das er seit seiner Heirat seinem Assistenten Aminadab überlassen hatte, und es gelingt ihm das Mal zu entfernen. Allerdings stirbt Georgiana aufgrund Aylmers Eingriff. |
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Hawthorne stellt in seinen Werken und besonders in „The Birthmark” den unbeschränkten Fortschrittsglauben seiner Zeit, den Machbarkeitswahn und den historischen Positivismus zur Diskussion / in Frage. |
(Historischer) Positivismus |
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Der historische Positivismus ist
eine philosophische Richtung des 19. Jhdts., die im 20. Jhdt. im
logischen Positivismus und Neopositivismus neu erwachte. Dieser Positivismus
Der Positivist Auguste Comte formuliert in seiner sechsbändigen Cours de philosophie positive (1826-1842) das Dreistadiengesetz ( ![]()
Herbert R. Ganslandt, Martin Carrier: "Positivismus (historisch)". In Mittelstraß 2015, S. 384–386 Während Anfang des 19. Jhdts. noch viele meinten, der menschlichen Erkenntnis seien keine Grenzen gesetzt, änderte sich das im Laufe des Jhdts. Man lese dazu die berühmten Ignorabimus-Reden "Über die Grenzen des Naturerkennens" und "Die sieben Welträtsel" des Berliner Physiologen Emil Du Bois-Reymond von 1880, siehe »Ignorabimus« ( ![]() |
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Handelnde |
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Aylmer |
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Aylmer wird im ersten Satz als
Mann der Wissenschaft bezeichnet, in allen Zweigen der „natural
philosophy” (S.
283) ausgezeichnet sachkundig. Seinerzeit umfasste „natural philosophy” alle Naturwissenschaften. Isaac Newton nannte 1686 sein bahnbrechendes Werk Philosophiae naturalis principia mathematica. Aylmer war also im Bereich der Naurwissenschaften Universalgelehrter, ähnlich wie die Autoren, die aus seiner Bibliothek besonders hervorgehoben werden: Albertus Magnus, Cornelius Agrippa und Paracelsus ( ![]() Aylmer verkörpert die Wissenschaft und vertritt die Haltung des Positivismus ( ![]() |
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Georgiana | ||
Während
Aylmer als
Wissenschaftler eingeführt wird, kommt Georgiana im zweiten Satz als
schöne Frau ins Geschehen. Kein Wort zu ihrer Vorgeschichte oder ihren
Ansichten abseits von Aylmer und Muttermal. zurecht weist Judith
Fetterley darauf hin, dass die Story mit umgekehrten Rollen (Frau will
ihren Ehemann perfektionieren) nicht funktionieren würde (Fetterley
1991). Kurz nach der Einleitung beschreibt der Autor das Muttermal auf Georgianas linken Wange und dessen Akzeptanz in einem langen Absatz. Georgiana wird reduziert auf Frau und Schönheit und das Muttermal, das die Schönheit zerstört. Das Muttermal ist für Aylmer das Symbol für Sünde, Leid, Verfall und Tod (S. 285). Dazu passt die Herausforderung und Verführung durch Georgiana: „You have achieved great wonders. Cannot you remove this little, little mark, which I cover with the tips of two small fingers? Is this beyond your power, for the sake of your own peace, and to save your poor wife from madness?” (S. 286). Sie ist damit Schlange und Eva zugleich (1 Mos 3,6). Doch Georgiana kann man auch als eigentliche Hauptperson der Erzählung ansehen. Zwei Gedanken zur Stützung dieser Ansicht.
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Aminadab | ||
Eine Gegenfigur zu Aylmer ist
Aminadab. Aminadab ist benannt nach einer biblischen Person (![]() Als Aylmer von der Liebe zu einer Frau ereilt wird, überläßt er das Labor einem Assistenten. Hier bleibt noch unklar, ob dieser schon zuvor im Labor agierte oder ob Aylmer ihn jetzt engagiert, da er das Labor verlassen will. Dieser Umstand ist wichtig, wenn man den Verdacht hegt, dass Aminadab eine Laborkreatur sein könnte, siehe ![]() Hawthorne formuliert den Gegensatz Aminadab zu Aylmer explizit:
Bemerkenswert: der körperliche Aminadab ist Assistent / Angestellter / Diener des wissenschaftlich geistigen Aylmer. Im Gegensatz zu Aylmer würde Aminadab das Mal nicht entfernen. Er akzeptiert den vermeintlichen Fehler. Man kann ihn daher als Aylmer moralisch überlegen ansehen. Als der medizinische Eingriff entgleitet hört Aylmer das heisere Lachen Aminadabs und ganz am Ende hört er es wieder. Die Natur hat über den Intellekt gesiegt. |
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Aylmers Laboratorium | |
Im
Laboratorium hatte Aylmer in
seiner Jugend Entdeckungen gemacht, die in ganz Europa Bewunderung
erregten und ihn zum Experten in jedem Zweig der Naturwissenschaften
machten. Das Labor ist weitläufig und wird mit fabrikmäßiger bis alchemistischer Ausstattung beschrieben: Rauch aus dem Heizkessel, Säure, Feuer, das den Eindruck erweckt seit langer Zeit zu brennen, Röhren, Destillationsretorten, Schmelztiegel, ja sogar mit einer elektrischen Maschine. Einen Teil des Labors hatte Aylmer für Georgiana in ein Boudoir umgebaut oder umbauen lassen. Dort hingen prachtvolle Vorhänge von der Decke bis zum Boden. Im übrigen Labor waren dagegen die Wände nackt und der Boden gepflastert. Doch Wissenschaft ist seinerzeit und auch in Aylmers Labor mit Magie verbunden. Ein Beispiel: „he was confident in his science, and felt that he could draw a magic circle round her within which no evil might intrude.” (S. 288). Hawthorne beantwortet kurz bevor Aylmer Georgiana ins Laboratorium bringt, schon die Frage, ob der Mensch in die Natur eingreifen soll, damit:
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Aylmer
&
Erzähler als
Wissenschaftler & Philosoph |
|
Aylmer ist von der Wissenschaft
besessen (![]()
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Zu 1. |
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Die Konkurrenz zwischen der
Liebe zur Wissenschaft und der Liebe
einer Frau wird – denke ich - zu ausschließend dargestellt. Ich sehe
nicht, warum sie unvereinbar sein sollen und in „The
Birthmark” sind sie es auch nur eingeschränkt. Zwar gibt Aylmer
erstaunlicherweise sein Laboratorium auf um Georgiana zu heiraten, aber
doch nicht ganz. Er überläßt es seinem Assistenten Aminadab. der es
anscheinend am Laufen hält. Gedanklich kehrt er aber bald ins Labor zurück und in seinem Traum ist er bei Aminadab im Labor und versucht das Muttermal zu entfernen. Als er dann mit Georgiana ins Laboratorium einzieht ist von seiner Liebe zu Georgiana nicht mehr viel zu spüren, er ist besessen von seinem Vorhaben. Es bleibt unklar, wie lange er dort im Labor die Operation vorbereitet. Hawthorne selbst widerruft seine heraufbeschworene Dichotomie: |
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„He had devoted himself,
however, too unreservedly to scientific studies
ever to be weaned from them by any second passion. His love for his
young wife might prove the stronger of the two; but it could only be by
intertwining itself with his love of science, and uniting the strength
of the latter to his own.” (S. 283) |
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Letztlich geht es auch um die
intellektuelle Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie mag heikel
sein, aber sie ist verwirklichbar. In „The
Birthmark” scheitert sie allerdings. |
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Zu 2. |
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Folgende Überlegung wirft
weitere Fragen auf
Aylmer hat – ganz im Geiste des Positivismus – einen hohen Grad der Überzeugung, dass die Menschheit auf dem Weg zur Naturbeherrschung weitt fortgeschritten ist und letztlich die Kontrolle über die Natur erlangen wird. Siehe dazu Wissenschaftlicher Fortschritt und sein Kriterium unter ![]() Er hinterfragt das nicht, denn es heißt »Macht euch die Erde untertan« 1 Mos 1,28. Aylmer bezeugt mehrfach, dass nicht nur die Menschheit die Natur beherrscht, sondern er als Wissenschaftler dies kann. Das wird sich als Selbstüberschätzung erweisen. Die oben zitierte Überlegung wirft weitere Fragen auf. Warum benutzt Hawthorne hier den Pluralis Majestatis? Ich lese das »wir« als
Verbrüderung Hawthornes mit den Leserinnen.
Wieso
weiß das der ansonsten allwissende Erzähler nicht?Ich meine, dass Hawthorne zeigen
will, dass wir nicht alles wissen.
Warum
benutzt Hawthorne »faith« und nicht »belief«? Die Überzeugung der
letzten Kontrolle über die Natur ist für Hawthorne eine Hybris, die zu
einer glaubensähnlichen Überzeugung wird, daher »faith« und nicht
»belief«.Warm setzt Hawthorne bei »Nature« durchgehend einen Großbuchstaben? Ich meine, er drückt damit eine besondere Einstellung zur Natur aus. Sie wird durch das »N« – ähnlich wie das »G« in »God« dem Menschen entrückt, also entgegen der letzten Naturverfügung durch den Menschen. NB. Während »Nature« 14 Mal
verwendet wird, kommt »God« nicht vor.
Nach dem Urknall der Erzählung gibt es einen weiteren wichtigen Knall. Vor der Heirat hatte Aylmer das Muttermal kaum bemerkt, nach der Heirat aber erkennt er es als ungeheuren Makel und ist besessen, es zu entfernen. Was ist geschehen? Mit der Heirat gelangt Georgiana in Aylmers Besitz, unter seine Verfügungsgewalt und das verändert seine Einstellung völlig. Pingelige Personen (alles Frauen) störten sich schon zuvor am Muttermal. Aber der Erzähler sieht es nüchtern und vergleicht es mit der Marmorstatue „Eve Tempted” des amerikanischen Bildhauers Hiriam Powers von 1842 ( ![]() Die Einstellung zum Muttermal liegt also beim Betrachter: „the birthmark takes on its character from the eye of the beholder” (Fetterley 1991). Das darf freilich nicht misinterpretiert werden als Bestätigung des Beliebigkeitsslogan „die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters”.
Wenige Jahre später erschien 1859 On the Origin of Species von Charles Darwin und erklärte, wie sich die Mängel im Laufe der Evolution hatten durchsetzen können. Siehe dazu: Mark Perakh: Unintelligent Design, unter ![]() Folgende Entdeckungen und Andeutungen lassen Aylmer für Georgiana und die Leserinnen unheimlich werden:
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Zu 3. |
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Wie bereits bei der
Charakterisierung Aylmers oben ausgeführt, wird dieser im ersten
Satz der Geschichte als Mann der Wissenschaft eingeführt, in allen
Zweigen der „natural
philosophy” (S.
283) ausgezeichnet sachkundig. (Womit Aylmer wirklich sein Geld verdient kommt nicht zur Sprache.) Die prominente Hervorhebung des Wissenschaftlers wird später mehrfach gestützt. Mit seinen Entdeckungen zu den elementaren Kräften der Natur hatte er einst die Bewunderung der wissenschaftlichen Vereinigungen in Europa erregt. Die Royal Society in London wurde 1660 als eine der ersten gegründet. Schriften der Royal Society findet Georgiana auch in Aylmers Bibliothek ( ![]() Aus dem Labor heraus hatte Aylmer die höchste Region der Wolken und die tiefste der Minen untersucht (Will Hawthorne das spöttisch verstehen? Der Naturwissenschaftler, der aus dem abgeschirmten Labor heraus, die Welt erkundet?). Er lotete auch den Prozess für das Meisterstück der Natur (gemeint ist wohl der Mensch) aus. Da erkannte er aber seine Grenzen und brach dieses Vorhaben ab. Er erkannte in echt positivistischer Manier: die Natur zeigt uns nur Ergebnisse, nicht das dahinter Verborgene (S. 287). Dem Positivismus zufolge gehört der Bezug auf Ursachen und Zwecke in die abzulehnende Metaphysik: sie zeigen sich eben nicht in der Natur; vergleiche dazu meine Seminararbeit: "Keine Funktion ohne Beobachter", siehe ![]() Doch wegen Georgiana nimmt Aylmer seine Unterungen wieder auf. Am gefährlichsten schätzte er seine Forschungen zum Lebenselixier ein; später nennt er es auch Elixier der Unsterblichkeit (S. 290). Einigemal ergibt sich, dass Aylmer trotz allem zwischen Wissenschaft und Magie steht, vielleicht sogar näher an der Alchemie. Erhellend dazu ist diese Passage: „He handled physical details as
if there were nothing beyond them; yet spiritualized them all, and
redeemed himself from materialism by his strong and eager aspiration
towards the infinite. In his grasp the veriest clod of earth assumed a
soul.” (S. 292)
Selbst in Aylmers Labor geht es noch magisch zu. Aylmer widerspricht sich selbst: „he was confident in his science, and felt that he could draw a magic circle round her within which no evil might intrude” (S. 288). Und einmal spricht Aylmer selbst von seinen tödlichen Fehlern (S. 289). Als Georgiana später sein Protokollbuch einsieht stellt sie fest, dass seine großartigen Erfolge fast ausschließlich Fehlschläge waren (S. 292). Wenn das zutrifft (kann Georgiana das beurteilen?) verstärkt es die Hybris Aylmers ins Extreme. |
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Aylmers Besessenheit und Selbstüberschätzung |
Aylmer
ist vorm Beginn der
Erzählung eifriger und erfolgreicher Wissenschaftler und wirft dann
alles hin um Georgiana zu heiraten, noch blind bezüglich des
Muttermals.
Doch kurz nach der Heirat nimmt er es als Schandfleck wahr und steigert
sich hinein. Er sieht es als Symbol für die Belastung seiner Ehefrau
mit Sünde, Leid, Verfall und Tod (S. 285). Es symbolisiert die Ursünde,
die
durch den Sündenfall Adams und Evas über die Menschheit kam, hier
alleine Eva angelastet. Er wird davon besessen. Schon am Morgen erwacht er und sieht das Zeichen ihrer Unvollkommenheit. Seine düstere Vorstellungskraft übersteigert die Furcht vor dem Muttermal zum Entsetzen davor, das die Freude an Georgianas Schönheit übertrifft. Er wird vom Gedanken es zu entfernen besessen: „I even rejoice in this single imperfection, since it will be such a rapture to remove it” (S. 289). Der sprichwörtliche Splitter in ihrem Körper läßt ihn die vielen Balken in seinem Charakter nicht sehen (Mt 7,3). Motivation Wenn man freilich im Laufe der Lektüre davon erfahrt, dass Aylmers wissenschftlicher Ruhm auf Sand gebaut ist, keimt die Vermutung auf, dass Aylmer so versessen auf die Entfernung des Muttermals ist, weil er seine wissenschatliche Reputation steigern oder festigen will. Wenn jemand krankhaft besessen ist, ist er oft entschuldig, da schuldunfähig. Wenn die These der Motivation zwecks Ruhmvermehrung richtig ist, gewinnt die Frage nach Aylmers Verantwortung mehr Gewicht. Aylmer ist nicht nur besessen, sondern überschätzt sich auch gehörig, trotz der zahlreichen wissenschaftlichen Misserfolgen. Überschätzung bezüglich seines Könnens und Wissens, das seiner positivistischen Grundeinstellung entspricht, und die er gerne gegenüber Georgiana ausdrückt:
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Aylmer und Frankenstein |
Der Wisssenschaftler Aylmer hat
mit Frankenstein einiges gemeinsam. Der Roman Frankenstein von Mary Shelley erschien 1818 wenige Jahre vor „The Birthmark”, das im März 1843 erstmals veröffentlicht wurde. Aylmers Traum der Perfektion stimmt mit Victor Frankensteins Traum der Herrschaft über die Natur überein. Frankenstein will Leben erzeugen und Aylmer sucht nicht nur nach dem Elixier der Unsterblichkeit. Leicht zu überlesen ist, dass er schon früher versuchte ein weniger perfektes Geschöpf als es Georgiana ist zu erzeugen (S. 286). Er versuchte den Prozess der Natur ihr Meisterstück (gemeint ist der Mensch) zu ergründen. Doch legt er diese Forschung beiseite (hat das Vorhaben also nicht aufgegeben), als er erkannte, dass die Natur nicht alle ihre Geheimnisse preisgibt (S. 287). Einige Anzeichen ließen mich bei Aminadab an Frankensteins Geschöpf denken. Aylmer spricht ihn als menschliche Maschine und Mensch aus Lehm („thou man of clay”, S. 293) an. Das assoziiert: „O Lord, you are our Father; we are the clay, and you are our potter; we are all the work of your hand.” Jes 64,8. Wir lesen von Aminadabs mechanischer Gewandtheit, während er unfähig ist auch nur ein Naturgesetz ( „principle”, S. 288) zu begreifen. Seine Stimme gleicht mehr dem Knurren eines Viehs als menschlicher Sprache (S. 290). Elisabetta Marino von der Universität Rom geht zahlreichen Spuren von Mary Shelleys Frankenstein in Texten der USA nach (siehe ![]()
![]() |
Zeitverlauf
|
Die
Erzählung setzt ein mit
einem Knall (siehe ![]() Aylmers äußert seine Bedenken zum Muttermal sehr bald nach der Heirat. Dann folgen Jahreszeiten des Nagens am Muttermalproblem, deren zeitliche Länge unbestimmt bleibt. Nach Aylmers Traumerzählung und einer Aussprache trägt Aylmer seine Frau über die Schwelle des Labors in das von ihm eingerichtete Boudoir (siehe ![]() |
Zwei
bemerkenswerte Abschnitte |
Die Erzählung wechselt zwischen
Handlung und reflektierenden Absätzen. Zwei Abschnitte müßten weiter
untersucht werden, da sie mir überaus bemerkenswert erscheinen. Mir fehlt jetzt leider die Zeit dazu. Hier sind sie für weitere Untersuchung durch die Leserinnen: |
[Georgiana]
„I might wish to put off this birthmark of mortality by relinquishing
mortality itself in preference to any other mode. Life is but a sad
possession to those who have attained precisely the degree of moral
advancement at which I stand. Were I weaker and blinder it might be
happiness. Were I stronger, it might be endured hopefully. But, being
what I find myself, methinks I am of all mortals the most fit to die.”
(S. 294–295) |
Letzter Absatz der Erzählung „Thus ever does the gross fatality of earth exult in its invariable triumph over the immortal essence which, in this dim sphere of half development, demands the completeness of a higher state. Yet, had Alymer reached a profounder wisdom, he need not thus have flung away the happiness which would have woven his mor- tal life of the selfsame texture with the celestial. The momentary circum- stance was too strong for him; he failed to look beyond the shadowy scope of time, and, living once for all in eternity, to find the perfect fu- ture in the present.” (S. 297) |
Stil |
Schon
der erste Absatz und der
folgende Satz zeigen die Könnerschaft Hawthornes. Er führt den besessenen Wissenschaftler ein, den Assistenten und die schöne Frau. Das sind nicht nur die drei Protagonisten sondern gleich die dazugehörigen Klischees: der Mann als Intellektueller, der dazu eine Art Diener hat und die Frau verkörpert das Schöne. Der Wissenschaftler überredet die schöne Frau seine Ehefrau zuwerden. Er demonstriert seine Gewalt über sie und degradiert sie damit. „The Birthmark” wird von einem nahezu allwissenden Erzähler vorangetrieben. Nicht immer ist es für die Leserinnen einfach zu trennen zwischen den Ansichten Aylmers und den Reflexionen des Erzählers über Aylmer. „The Birthmark” erschien mir beim ersten Lesen zu hinhaltend. Ich erkannte schnell, dass Aylmer das Muttermal entfernen wird und dass dies nicht gut ausgehen wird. Für beides gibt es überbordende Vorzeichen. Die volle Qualität dieser Story erschloss sich mir erst bei mehrmaligem Lesen. Insbesondere mit der Beschreibung des Laboratoriums gelingt es Hawthorne eine schaurige, unheimliche Atmosphäre aufzubauen. Die Erzählung läßt durch überbordende Signale viele Fragen offen. Gerade das prädestiniert sie für mehrmaliges Lesen. |
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Aus der Bibliothek in Aylmers Laboratorium (S. 291) |
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Die
drei namentlich genannten
Autoren in der Bibliothek
in Aylmers Laboratorium
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Albertus
Magnus |
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* um 1200 in Lauingen an der
Donau, † 1280 in Köln Albertus Magnus wurden schon bald nach seinem langen Leben magische Kräfte zugeschrieben. Nach diesen Gerüchten verfügte er über zauberische Kräfte und besaß den Stein der Weisen. Er war Universalgelehrter, vertrat einen empirischen Ansatz ohne religiöse Vorbehalte, war aber auch in religiösen Voraussetzungen gefangen. So hielt er die aristotelische Philosophie mit dem christlichen Glauben vereinbar. Hans-Rüdiger Schwab: "Albertus Magnus". In Lutz 1995, S. 13–14. |
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Agrippa
von Nettesheim |
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* 1486 in Köln; † 1535 in
Grenoble Agrippa trat für die Beschuldigten in Hexenprozessen ein, tadelte die Intoleranz und Tyrannei kirchlicher Würdenträger. Er wurde unter Papst Julius II. exkommuniziert, von Papst Leo X. rehabilitiert, geriet aber später wieder in Konflikt mit der Kirche. In seiner Schrift De incertitudine et vanitate scientiarum (Über die Unsicherheit und Eitelkeit der Wissenschaften) widerrief er einige seiner Lehren. Er argumentierte gegen Magie, Alchemie und Aberglauben, aber auch gegen die weltlichen Wissenschaften. Christian Thiel: "Agrippa von Nettesheim". In Mittelstraß 2005, S. 50–51 |
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Paracelsus |
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* 1493 oder 1494 in Egg, Kanton
Schwyz; † 1541 in Salzburg Schweizer Arzt, Naturphilosoph, Alchemist, Astrologe; starb vermutlich an einer Quecksilbervergiftung. Paracelsus galt als Fachmann für Quecksilbertherapie. Paracelsus ist der Schöpfer einer Philosophenmedizin. Alle Heilkunst hat ihren Grund in der Erfahrung. Christian Thiel: "Paracelsus". In Mittelstraß 2015, S. 86–89 |
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Mönch,
der den "Brazen Head" schuf |
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vermutlich Roger Bacon,
* um 1220, nahe Ilchester in Somerset; † kurz nach 1292 in Oxford. Franziskaner und Naturphilosoph, genannt Doctor mirabilis. Roger Bacon war Befürworter empirischer und experimenteller Methoden, die magische Methoden mit einschlossen. Er lehrte zur selben Zeit wie Albertus Magnus in Paris. Der bronzene Kopf gilt als Symbol gefährlichen Wissens. Er war fähig, an ihn gestellte Fragen, korrekt zu beantworten. Jürgen Mittelstraß: "Roger Bacon". In Mittelstraß 2005, S. 343–345 |
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Royal Society | |
Akademie der Wissenschaften des
Vereinigten Königreiches für die Naturwissenschaften, gegründet 1660. Die erste vergleichbare Akademie in den USA ist die American Academy of Arts and Sciences. Sie wurde 1780 gegründet, und hat ihren Sitz in Cambridge, Massachusetts. |
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Fazit Wie die Besprechung zeigt, stecken in „The Birthmark” viele Fragen. Antworten werden den Leserinnen überlassen, ähnlich wie das Schicksal Aylmers nach Georgianas Tod. Schon in der Einleitung gibt der Erzähler eine Zusammenfassung der Kurzgeschichte in einem kurzen Satz: „Such a union accordingly took
place, and was attended with truly remarkable consequences and a deeply
impressive moral” (S. 283)
Die beeindruckende Moral von der Geschichte muss jede Leserin für sich
selbst ziehen.Zum Schluß der Handlung wird es ironisch. Aylmer: „My peerless bride, it is successful! You are perfect!” Kurz darauf stirbt Georgiana. Eingriff gelungen, Patient tot. Oder: „how to murder your wife and get away with it” (Fetterley 1991). Die Frau wurde zum Opfer der Perfektionssucht des Mannes. Nur eine tote Frau ist perfekt oder umgekehrt. „The Birthmark” enthält mehr als ich beim erstenmal Lesen vermeinte. Es ist Hawthornes Faust. |
Bezüge auf Bibelstellen |
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Realismus und Naturalismus |
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Weitere Vergleichsliteratur Edgar Allan Poe: „The Oval Portrait” |
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Literatur |
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„Nineteenth-Century SF”. In: Mark Bould, Andrew M. Butler, Adam
Roberts, Sherryl Vint, Hg.: The
Routledge Companion to Science Fiction, London: Routledge,
2009. S. 13–22. |
Fetterley,
Judith (1991): „Women
Beware Science: »The Birthmark«”. In: Albert von Frank, Hg.: Critical Essays on Hawthorne's Short
Stories. Boston: Hall. S. 164–173. |
Haitos, Alexander Nicholas
(2015): „Pitfalls of Perfection: Rethinking Hawthorne’s Treatment of
Science and the Danger of Extremes in »The Artist of the Beautiful« and
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Station, Texas. – online
verfügbar |
Kalač, N. Individuality as a
Force for Destruction in Nathaniel Hawthorne‘s “The Ambitious Guest”.
International Burch University. 16 Seiten |
Lutz,
Bernd, Hg. (1995): Metzler
Philosophen Lexikon. Von den Vorsokratikern bis zu den Neuen
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Marino, Elisabetta (2020):
„Frankenstein and Its American Progeny”. In: Maria Parrino, Alessandro
Scarsella, Michela Vanon Alliata, Hg.: Mary Shelley’s Frankenstein, 1818-2018.
Cambridge, 2020. S. 93 – 103. |
Mittelstraß,
Jürgen, Hg.: Enzyklopädie
Philosophie und
Wissenschaftstheorie. Stuttgart:
Metzler. Bd. I (2005) – Bd. VI (2015) |
Resetarits, C. R. (2012):
„Experiments in Sex, Science, Gender, and Genre: Hawthorne’s “Dr.
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Literary Imagination 14:2, S. 178-193. |
Rosenberg, Liz. (1993): „’The Best That Earth Could Offer’: ‘The Birth-Mark,’ A Newlywed’s Story”. Studies in Short Fiction 30:2, S. 145-151. |
Shelton,
Olivia. (2020): „Hawthorne’s Beautiful Women and Hideous Men:
Ecofeminism in “The Birthmark” and “Rappaccini’s Daughter””. Scholars Week 2, 11 Seiten |
Yu, Joseph. (2010): „ Alchemy, Imagination, and Hawthorne’s “The Birth-mark””. Tamkang Review 40:2, S. 1-17. |
Bei Amazon nachschauen | |
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